S. Michel, Die Magischen Gemmen im Britischen Museum, 2001, 153, no. 249.
Karneol, poliert, in den Vertiefungen matt. Hochoval, Vs. konvex, Rs. flach, Rand nach hinten abgeschrägt, Kante abgerundet. Kleine Absplisse an der Kante. Ringstein.
1,3 x 1,0 x 0,4
3. Jh.n.Chr.
Herkunft unbekannt.
Brit. Mus. Inv. G 489, ΕΑ 56489.
Vs.: Büste einer jugendlichen Figur, Kopf im Profil nach links. Gezeigt sind Kopf und Oberkörper sowie der angewinkelt am Körper gehaltene rechte Arm mit einer Peitsche, deren kurze Schnur nach außen hängt. Das Gesichtsprofil ist grob mit waagerechten Kerben für Kinn und Lippen sowie einer dreieckigen spitz abstehenden Nase und flüchtig bezeichnetem großen Auge gearbeitet. Frisur und Strahlenkranz mit sieben Strahlen sind mit gerippt gemustertem, um den Kopf laufenden Kerbenband und Schrägkerben angedeutet. Um die Schulter ist eine rechts neben der Figur flatternde Chlamys drapiert. Der Oberkörper der Figur ist mit einem Brustpanzer bedeckt, auf dem spiegelverkehrte Buchstaben in zwei Reihen angebracht sind:
ΧΕ
C+
Ε(ICΟΥC) Χ(PICTΕ) C(WTHP), „Jesus, Christus, der Retter” und das Kreuz.
Die durch Querbalken als Abkürzungen gekennzeichneten Buchstaben dürften als nomen sacrum zu verstehen sein. Eine von CΑPELLΟ publizierte und von MONTFΑUCΟΝ nachgedruckte Gemme mit Ηeliosmotiv trägt die Inschrift ΕΙΣYΣ ΧPΕΣΤYΣ ΓΑΒPIΕ ΑΝΑΝIΑ AΜΕ. CΑPELLΟ liest sie als Iêsous Christus Gabriêl Αnanias Amên, während Bonner in dem letzten Wort eher den Εngelnamen Ananaêl vermutet. Kein Zweifel besteht jedoch darüber, daß das Motiv in Verbindung mit dem Namen Christi und Εngelnamen steht, da Christus mit dem antiken Helios identifiziert worden ist. Bei dem vorliegenden Stein ist diese Interpretation visuell und inhaltlich offenkundig und auch die kryptographische Absicht bei der ausführung der Buchstaben und des Kreuzes erkennbar: man sollte das Kreuz nicht erkennen (zusätzlicher Querstrich) und die Buchstaben nicht lesen könnnen (spiegelverkert), wenn man nicht eingeweiht war.
Rand: umlaufende Inschrift:
ΟMΕIZWΝΤHCΥΠΕΡΟΧHCΟΤΗCΔΥΝΑ
Rs.: Queroval. Randinschrift in sechs Reihen fortgesetzt:
ΜΕWCICΧΥ
PΟΤΕPΟCΟΤW
ΝΕΝΚΟΜI
WΝΚΡΕICCW
ΝΜΕΝΝΑ
Θ
Zu lesen als ὁ μείζων τῆς ὑπεροχῆς, ὁ τῆς δυνάμεως ἰσχυρότερος, ὁ τῶν ἐνκωμίων κρείσσων, „Der, der größer ist als das Größte, stärker als das Stärkste, erhabener als das Erhabenste” und das Wort ΜΕΝΝΑΘ.
Die Inschrift korrespondiert größtenteils mit einer der letzten drei Triaden der im Corpus Ηermeticum enthaltenen gnostischen Hymne Poimandres. Außer dem Wort ΜΕΝΝΑΘ, das - wie Bonner vermutet - vielleicht den kryptographischen Namen einer Gottheit darstellt, ist der Text klar übersetzbar. Auch auf einer Papyrusrolle mit liturgischen Texten sind die Worte mit geringen Variationen erhalten, so daß die Vermischung gnostischer Inhalte mit christlichen Aspekten illustriert und die Popularität des liturgischen Textes evident wird. Einige Abweichungen sind einerseits auf Platzmangel zurückzuführen, andererseits wird deutlich, daß der Steinschneider den Text aus dem Gedächtnis zitiert und beispielsweise ΕΓΚWΜIWN anstelle des in den Texten gebrauchten ΠΑIΝWΝ setzt, zudem mit der Silbe ΕΝΚ anstelle von ΕΓΚ geschrieben.
Die Darstellung ist als Bildnis Apollons oder Ηelios zwar geläufüg, ist jedoch nicht zuletzt aufgrund der in abkürzung wiedergegebenen heiligen Namen und der Inschrift eher als eine synkretistische Christusvariante aufzufassen. Christus wurde mit dem Sonnengott nicht nur verglichen, sondern in bestimmten Kreisen auch mit ihm identifiziert. Die Darstellung Christi als jugendliche, bartlose Figur dürfte das früheste Stadium der Christus-Ikonographie darstellen. Nach Meinung Bonners ist dies der interessanteste Stein mit einem liturgischem Τext aus dem Corpus Hermeticum.
Flüchtig und silhouettenhaft geschnitten, stellenweise mit Binnenzeichnung oder Details versehen, so daß das Schema klar erkennbar bleibt. Proportionen und Raumnutzung sind stimmig. Die Kontraste der Politur heben das Bild deutlich hervor.
Publ.: BONNER, FRAGMENTS 362ff. (ohne Abb.); C. ΒONNER, ΗΤhR 37, 1944, 338f.; BONNER
181f.,
299 Taf. 13, 274 /CBd-647/.
Lit.: Zu Motiv und Inschrift: R. REITZENSTEIN - P. WENDLAND, Zwei angeblich christliche liturgische Gebete, NachrAkGött, 1910, 324ff.; BONNER, FRAGMENTS 362ff. Anm.3 (Lit.); C. BONNER, ΗΤhR 37, 1944, 3381; BONNER
181f.,
299 zu
Nr. 274 /CBd-647/. - Zur Christusikοnοgraphie: C.Μ. KAUFMANN, Handbuch der christlichen Archäologie (1922) 363. - Zur Identifikation Christi mit der Sonne: F.J. DÖLGER , Sol salutis, in: Liturgiegesehichtliche Forschungen, Heft 5 (1920); Η. SCΗRADE, Zur Ikonographie der Himmelfahrt Christi, in: Vorträge der Bibl. Warburg, 1928/29, 119. - Zur gnostischen Hymne Poimandres: Corpus Ηermeticum I, 31, Β. COPENHAVER, Ηermetica. The Greek Corpus Hermeticum and the Latin Αsclepius in a New Εnglish Translation with Notes and Introduktion (1992) 7, 121f.(Lit.). - Ζu christlichen Elementen auf magischen Gemmen:
224 /CBd-622/(Lit.),
250 /CBd-648/(Lit.),
457 /CBd-815/(Lit.).
Vgl.: Zu christlich aufgefaßtem Helios-Motiv und Inschrift: Νicolo CAPELLO Abb. 155. MONTFAUCON II 2 Taf. 167, 2.3. AGD III Kassel 253 Taf. 117, 212; ferner hier
635 /CBd-994/,
636 /CBd-995/. - Zum Wort ΜΕΝΝΑΘ: Lapislazuli-Skαrabäus:
SKOLUDA 109 /CBd-1640/ (unpubl.), ferner
hier 643 /CBd-1002/. - Zu liturgischen Texten auf magischen Gemmen: Chalcedon DELATTE-DERCHAIN 266 Nr. 381; hier
327 /CBd-713/,
563 /CBd-922/. - Zu Psalmen auf Amuletten ferner: Βronze-Αrmband und Bronzeanhänger ΒONNER
306f. Taf. 261,
321 /CBd-1494/.
324 /CBd-1497/; BONNER, TWO STUDIES 467ff. Αbb. 3.5; Μ.C. ROSS, Catalogue of the Βyzantine and early Μedieval Αntiquities in the Dumbarton Oaks Collection I (1962) 53 Taf. 38, 60. - Zu kryptographischen, christlichen Elementen, Abkürzungen und Namen Jesus: Glaspaste, schwarz BONNER
308 Taf. 17, 330 /CBd-468/; hier
224 /CBd-622/ (Vgl.),
239 /CBd-637/,
250 /CBd-648/(Vgl.),
298 /CBd-684/,
398 /CBd-769/,
450 /CBd-808/,
457 /CBd-815/(Vgl.),
458 /CBd-816/,
460 /CBd-818/,
465 /CBd-823/,
538 /CBd-897/(Vgl.),
541 /CBd-900/(Vgl.), ferner
5 /CBd-384/.