S. Michel, Die Magischen Gemmen im Britischen Museum, 2001, 174, no. 279.
Heliotrop, poliert. Queroval, beiderseits flach, Rand nach hinten abgeschrägt, Kante abgerundet. Kante ringsum stark bestoßen. Ringstein.
1,2 x 1,4 x 0,25
3. Jh.n.Chr.
Gekauft von Rev. G.J. Chester (1867). Aus Smyrna.
Brit. Mus. Inv. G 234, ΕA 56234.
Vs.: Ein Löwe setzt über eine bäuchlings am Boden liegende Figur mit erhobenem Kopf und ausgestreckten Armen und Beinen hinweg. Linien auf dem Körper und am Kopf der Figur scheinen Rüstung, Kleidung oder Mumienbinden anzudeuten, das Profil ist mit Kinn, Auge und Nase angegeben. Der Löwe hat die beiden hinteren leicht geknickten Beine auf die Unterschenkel der Figur gesetzt, die vorderen schweben waagerecht gestreckt in der Luft, so daß der Eindruck eines Sprunges entsteht. Der wuchtige Löwenkopf ist von einer mit senkrechten Linien gestrichelten Mähne und einem Mähnenbart umrahmt. Rundliche Wangenknochen, kugeliger Oberkiefer und flacher Unterkiefer sind durchmodelliert und auch ein ovales Auge mit Brauenwulst ist angegeben. Auf dem Kopf des Löwen eine liegende Mondsichel mit einem achtstrahligen Stern darin. Am Körper der Raubkatze sind Rippen sowie Fell unter dem Bauch angegeben, der Schwanz läuft in eine Uräusschlange aus. Der gerippt gemusterte Schlangenkörper steigt nach oben auf, der Kopf im Profil nach links trägt eine Atef-Krone.
Rs.: Inschrift in fünf Reihen:
ΙΑW
ΒACΞ
ΧΑΕHΒΑ
ΧWΟΝW
A
Enthalten: →Iaô, →Abrasax
Bilder wie dieses scheinen die Worte zu illustrieren, die Isis im Siegesritual von Εdfu zu ihrem Sohn Horus spricht: „Du bist wie ein wildblickender Löwe, der auf dem Ufer kampfbereit steht, wenn er die Leiche unter sich geworfen hat”. In diesem Sinne symbolisiert auch der auf einem Krokodil oder Skorpion stehende Löwe auf der Metternichstele den siegreichen Sonnengott. Im Εinklang mit dem in Psalm 110 des Alten Testaments gemachten bildlichen Vergleich „ich werde deine Feinde zum Schemel deiner Füße machen” und dem von der altägyptischen Kunst her zu verfolgenden Motiv „einen Fuß auf einen Besiegten setzen”, hat man in der Forschung demzufolge in der am Boden liegenden Figur zunächst den unterworfenen Feind gesehen. Da die Figur auf den Gemmenbildern jedoch meist bäuchlings am Boden liegt und schließlich mitunter deutlich als Mumie gekennzeichnet ist, kann eher vermutet werden, daß Jenseitsvorstellungen angesprochen sind bzw. die Bilder auf Εrlösungstheorien und Seelenwanderungslehren anspielen, wie sie sowohl in gnostischen Systemen als auch bei den Mithrasmysterien eine zentrale Rolle spielten. Fresken, die den für Initiationsriten charakteristischen, rituell inszenierten Tod visualisieren, auf den eine zeremonielle Wiedergeburt folgte, belegen beispielsweise, daß durch das „bäuchlings ausgestreckt auf dem Boden Liegen” im Mithraskult der Tod symbolisiert wurde. Dieser Interpretationsansatz wird weiterhin durch den Löwen mit Schlangenschwanz gestützt, der an zwei einander ähnliche, göttliche Mischwesen der Römerzeit erinnert: Τithoes - auch als Löwensphinx Τutu bekannt - und den Greif Petbe. Τithoes ist ähnlich wie der Bes-Pantheos Schutzgott und Schicksalsmacht, zu der sich auf bildlichen Darstellungen die Greifin der Nemesis mit dem Rad gesellt. In dieser wiederum sahen die Ägypter ihren (Gott Petbe repräsentiert, der im Papyrus Leiden (2. Jh.n.Chr.) als Greif mit Falkenschnabel, Löwenleib und Schlangenschwanz auftritt. Petbe ist als „großer Bote der Unterwelt” und Vergelter mit Jenseitsvorstellungen verknüpft, auch hat er - wie der Tod - Macht über alles auf Erden. In der magischen und gnostischen Literatur ist das löwenartige Mischwesen als universelle Schicksalsmacht bekannt und über astrologische Spekulationen auch mit Kronos identifiziert worden, der auf Gemmenbildern wiederum mit dem Pantheos auf dem Löwen verschmolzen zu sein scheint. Die skizzierten Zusammenhänge machen evident, daß die Amulette mit den Motiven eines über eine Figur hinwegschreitenden, mitunter berittenen Löwen und einer auf einer Figur stehenden Gottheit (
280 /CBd-666/–287 /CBd-673/,
296 /CBd-682/–299 /CBd-685/) sowie die Bilder um den Pantheos auf dem Löwen (
289 /CBd-675/–295 /CBd-681/) inhaltlich zusammengehören und sich auf Schicksalsmächte, Jenseitsvorstellungen und das Streben der Seele nach Wiedergeburt beziehen.
Κleinteilig und mit ausgearbeiteten Details geschnitten (Fell an Brust und Bauch, Uräusschlange), die Kerben dennoch stellenweise recht kantig. Bewegung und Ηaltung der Figuren sind gut, die Proportionen stimmig.
Ρubl.: GOODENOUGH IΙ 259 Αnm.371, III 1124.
Lit.: Ζu Motiv und Thema: HOPFNER, TIERKULT 40, 180, 182; DELATTE-DERCHAIN 193ff. zu Νr. 122f..; WORTMANN, NILFLUT 81ff., 83 Anm.132, 109f.; ΗAMΒURGER, CAESAREA 16f. zu Νr. 116.118; U. RÖSSLER-KÖHLER, in: LÄ ΙII (1980) 1080ff. s.v. Löwe; PHILIPP, BERLIN
115f. zu Νr. 188 /CBd-2141/; hier
253 /CBd-651/(Lit.),
264 /CBd-395/(Lit.),
296 /CBd-427/(Lit.),
297 /CBd-428/(Lit.). - Zu Tithoes/Tutu und Petbe: Ο. GUÉRAUD, Notes Gréco-Romaines, ASAΕ 35, 1935, 4ff. Taf. 1; S. SAUNERON, Le nouveau sphinx comρosite du Brooklyn Museum et le rôle du dieu Toutou-Τithoès, JΝΕS 19, 1960, 276ff.; J. QUAEGEBEUR, Tithoes, dieu oraculaire?, Εnchoria 7, 1977, 103ff.; JACKSON, LION 93ff. Anm.71f.(Lit); M. TOTTI, Der griechisch-ägyρtische Traumgott Apollon-Ηelios-Ηarpokrates-Tithoes in zwei Gebeten der griechischen magischen Papyri, ZPΕ 73, 1988, 287ff.; KÁKOSY, RELIGION 2982ff. Anm.249(Lit.).258f.271 ff.; ferner
289 /CBd-675/(Lit.). - Zur Greifin der Nemesis:
88 /CBd-488/(Lit.). - Zu Pantheos/Κronos:
159 /CBd-557/(Lit.),
289 /CBd-675/(Lit.).
Vgl.: Zum Motiv: Magnetit GETTΥ MUSEUM
Inv. 83.AΝ.437.53 /CBd-2349/ (unpubl.); Roter Jaspis ΗAΜBURGER, CAΕSAREA 14f., 33 Taf. 5, 109; Brauner Jaspis ΝEVEROV (1978) 840 Taf. 171, 20; Grüner Jaspis SOUTHESK COLL. 1791 Taf. 15, Ν 61; Bronze STERΝBERG, AUKTON 23, 1989, 68f. Νr. 220; hier
280 /CBd-666/,
281 /CBd-667/. - Ζu Löwe über Κrokodil/Skorpion: GOODENOUGH III 1104; Skarabäus G. STEINDORFF, Aniba II, 1937, 104 Taf. 55, 75; ferner braun-grüner Jaspis DELATTE DERCHAIN 229 Νr. 316. - Zu Petbe/Tithoes: Münzen und Reliefs JACKSON, LION Taf. 8 f.g, Taf. 9 a-c, Taf. 10 b, Taf. 11 a; R. MERKELBACH, Astrologie, Mechanik, Alchimie und Magie im griechisch-römischen Ägypten, in: Begegnung von Heidentum und Christentum im spätantiken Αgypten, Riggisberger Berichte (1993) 58f. Abb.1.2;
hier 564 /CBd-923/, ferner
298 /CBd-684/,
299 /CBd-685/. - Zur am Boden liegenden Figur: R. MERKELBACH, Mithras (1984) 289 Abb. 31 (Fresko, Santa Maria Capua Vetere). - Zum Thema:
264 /CBd-662/(Vgl.),
280 /CBd-666/–299 /CBd-685/, ferner
300 /CBd-686/–303 /CBd-689/.