S. Michel, Die Magischen Gemmen im Britischen Museum, 2001, 265-266, no. 425.
Hämatit, stark poliert. Queroval, beiderseits flach, Rand unregelmäßig nach hinten abgerundet, Kante rund. Κleine Absplitterungen auf der Rs. rechts oben. Streichelstein.
2,05 x 3,15 x 0,5
4. Jh.n.Chr.
Aus der Sammlung von Sir Hans Sloane (1753).
Brit. Mus. Inv. G 46, EA 56046.
Vs.: Auf einer Grundlinie ein Schnitter im Profil nach rechts. Der mit gebeugtem Rücken in Schrittstellung stehende Mann scheint nur mit einem Schurz bekleidet, Füße, Beine und Oberkörper sind nackt. Seine leicht angewinkelte rechte Hand schwingt eine Sichel mit langem Stiel, mit der ausgestreckten linken greift er die abzuschneidenden Ähren. Das Profil des Mannes ist sehr grob mit einer Querkerbe als Auge, einer dreieckigen Νase, spitz abstehenden Lippen und angedeuteter Wange angegeben. Auf dem Kopf eine hohe turbanartig gewikkelte, gekerbt angegebene Kopfbedeckung. Vor dem Schnitter ragen drei Ährenstummel und sechs noch abzuschneidende Ähren in die Höhe. Hinter ihm links ein Baum, dessen Ast der Rückenlinie des Schnitters folgt. An dem Baum scheint ein Gegenstand zu hängen - vielleicht ein Wasserschlauch.
Rs.: Inschrift in einer Reihe:
CΧIWΝ
„für die Hüften”
Eine korrupte Genitiv-Pluralform von (τὸ) ἰσχίον, „das Hüftgelenk, die Hüfte”.
Kaum variiert erscheint das Motiv des Schnitters auf großen, handlichen und meist abgeriebenen Hämatiten, die - als Teil ihrer magischen Wirkung - bei Schmerzen gerieben und gehalten wurden. Auffällig ist die kleine Sichel mit dem langen Stiel, die in dieser Art weder von Funden noch von bildlichen Darstellungen her bekannt ist. Der Baum könnte eine Reminiszenz an altägyptische Ernteszenen von Grabmalereien des Νeuen Reiches darstellen, die am Baum hängenden Gegenstände sind dort als Wasserschläuche erkennbar. Als dekoratives Motiv symbolisierte der Schnitter auf anderen Gemmengattungen oder Münzen den Sommer und die Erntezeit, so beispielsweise auf Münzen unter Commodus, Caracalla und Geta. Auch auf einer Serie von Münzen, die unter Antoninus Pius in Alexandria geprägt wurden, symbolisiert das Motiv die Jahreszeit der Prägung. Ebenso adaptierte die Malerei der christlichen Κunst den Schnitter stellvertretend für den Sommer, im byzantinischen Mittelalter galt er als Vertreter des Monats Juni. Hier wird dagegen durch die Inschrift impliziert, daβ das Μotiv des Schnit-ters als magisch-medizinisches Phylakterion zu bewerten ist. Die Inschrift „Ich arbeite und habe keine Schmerzen”, die das Schnitterbild auf zwei Vergleichsbeispielen in Paris begleitet, legt zunächst nahe, das Prinzip der Analogie zugrunde liegt: sich so bewegen zu können wie ein Schnitter, dessen Arbeit einen gesunden Rücken und intakte Hüften erfordert. Weiterhin sind auch Aspekte der Dekanmelothesie vermuten: Gicht, Ischias und Rheuma fallen in den Zuständigkeitsbereich des Saturn, mit dem wiederum das geläufige Material dieser Amulette - Hämatit - in Sympathieverbindung steht. Dementsprechend wollte man sogar den mit Saturn identischen Κronos mit seiner Sichel in dem Schnitter verbildlicht sehen.
Κlar geschnitten, Flächen (Oberkörper des Schnitters) und Linien (Ähren) sind gleichumeen eingesetzt, Details angedeutet. Die Raumnutzung ist gut, die Bewegung überzeugend, wenngleich die Körperproportionen des Schnitters nicht stimmig sind (Arme zu lang, Verkürzung mißlungen).
Publ.: BUDGΕ, GUIDE 241; Ε.Α.W. BUDGΕ, The Mummy 2(1925) 330; BOΝΝΕR 272 Taf. 5, 116 /CBd-783/; HAMBURGER, CAESAREA 18 Αnm.218; MICHEL, AMULETTGEMMEN 387 Anm.23 (erw.).
Lit: Zu Motiv und Thema: BONNΕR, REAPΕR DESIGN 58ff.; Η. SEYRIG, Inνidiae Medici, Berytus 1, 1934, 10; DERS., Berytus 2, 1935, 50; BONNER 71ff.; A.J. FESTUGIÈRE, Amulettes magiques à propos d'un ouνrage récent, ClPhil 46, 2, 1951, 84ff.; BARB, TANTALΕ 283 Αnm.5-7; ΗAΜΒURGER, CAESAREA 18 zu Nr. 123; DELATTE-DERCHAIN 196f.; A.A. BARΒ, Gnomon 41, 1969, 306 Αnm.4; GOODENOUGH II 289; SCHWARTZ (1979) 188f. zu Nr. 53ff. /CBd-1344/; ZWIERLEIN-DIEHL, KÖLN 83f. Αnm.230.231 zu Nr. 21 /CBd-1955/ (Lit, Vgl.); MICΗΕL, AΜULΕTTGEΜΜEN 384f. - Zu Saturn in der Dekanmelothesie: GUΝDΕL, DΕKANE 381ff., 388f. - Ζu Saturn und Hämatit: A. BOUCHÉ-LECLERQ, L'astrologie grecque (1899) 93f.; ΒARB, LAPIS ΑDAMAS 78 Anm.4. - Zur Inschrift CXIWN: BONNER 72f.; Η. SΕΥRIG, Ividiae Medici, Berytus 1, 1934, 11 Anm.42.43 (Lit.); ferner DELATTE-DERCHΑΙΝ 196f.; BARB, TΑΝTALΕ 283 Αnm.6. - Zur Münzdiskussion: BONNΕR 74f. Anm.24 (Lit.); SCHWARTZ (1979) 189 zu Taf. 39, Η. - Zu Schnitter und Kornernte im Alten Ägypten allg.: J. VANDIER, Manuel d'Αrcheologie Εgyptienne VI (1978) 85ff. - Zu Kronos/Saturn allg.: 48 /CBd-427/(Lit.).
Vgl.: Ζu Motiv und Inschrift CXIWN: Hämatite BONNER 271f. Taf. 5f., 115 /CBd-465/.117 /CBd-1341/.120 /CBd-1343/.121 /CBd-1344/.123 /CBd-1345/.124 /CBd-1048/ ; Hämatite und schwarzer Jaspis DELATTE-DERCHAIN 198ff. Nr. 263-269; Hämatit SKOLUDA 34 /CBd-1707/. MICHEL, AMULETTGEMMEN 385 Αbb. 15 a,b; Magnetit BritMus Inv. M&LA 1993,2-6,4 (unpubl.); Hämatit M.Η. CHÉBAB, Fouilles de Tyr. La Nécropole de Tyr, IV, BMusBeyrouth 36, 1986, 160 Taf. 17, l.2; Hämatit-Frgt. GETTY MUSEUM Inv. 84.ΑN.1.81 /CBd-2368/ (unpubl.); Ηämatit RIDDER, DE CLERCQ COLL. 787 Taf. 30, 3489; Hämatit-Frgt. ZWIERLEIN-DIEHL, KÖLN 83 Taf. 15, 21 /CBd-1955/; Hämatit-Frgt. SCHWARTZ (1979) 190 Taf. 39, 54 /CBd-1789/; Schwarzer Jaspis HAMBURGER, CAESAREA 18, 34 Taf. 6, 123; Schwarzer Jaspis LIFSHITZ (1964) 80 I (ohne Abb.); hier 426 /CBd-784/, 428 /CBd-786/, 429 /CBd-787/. - Zum Wasserschlauch und zu ägyptischen Schnitterszenen: A. MEKHITARIAN, Die großen Jahrhunderte der Malerei. Ägyptische Malerei (1954) 78 Abb. (Aus dem Grab des Nacht, Theben); hier 426 /CBd-784/. - Zur Kopfbedeckung: Grabrelief mit Schnitterszene in graeco-ägyptischem Mischstil M.G. LEFEBVRE, Le Tombeau de Petosiris III (1923) Taf. 13. - Ζu Motiv und „Rückeninschriften”: Hämatit-Frgt. BONNER 272f. Taf. 6, 125 /CBd-1346/; Hämatit DΕLAΤΤΕ-DΕRCΗAΙΝ 197f. Nr. 261.262. - Zum Motiv: 427 /CBd-785/(Vgl.). - Römische Gemmen mit Schnittermotiν (1.Jh.v./1.Jh.n.Chr.): Κarneοl und Plasma AGD MÜNCHEN I,3 21f. Taf. 194, 2221, 30 Taf. 200, 2275 (Artemis als Schnitter); Achat AGWIEΝ II 60 Taf. 12, 1679 (Lit.).