S. Michel, Die Magischen Gemmen im Britischen Museum, 2001, 219, no. 347.
Obsidian, schwach poliert. Hochoval, Vs. leicht konvex, Rs. flach, Rand nach hinten abgeschrägt, Kante abgerundet. Vs. und Rs. oben muldenförmig ausgebrochen. Ringstein.
2,3 x 1,7 x 0,5
2./3. Jh.n.Chr.
Von G. Eastwood, Esq. (1864), ehemals Sammlung Praun und Mertens.
Brit. Mus. Inv. G 190, EA 56190.
Vs.: Römisch-kaiserzeitlicher Gryllos im Profil, auf einer Grundlinie von rechts nach links schreitend. Das Mischwesen ist aus Hahnenfüßen und einer bärtigen Maske sowie einem Widderkopf darauf zusammengesetzt. Der Haarschopf mit „Gefieder” ist durch Abspliß zerstört, eine Ähre im Maul des Widders bildet den Schwanz. Vor dem plastisch ausgearbeiteten Profil der Maske ein mit gestreckten Beinen im Profil senkrecht nach oben springender Löwe.
Rs.: Phönix, in Seitenansicht von links nach rechts schreitend. Der Kopf des Vogels ist von einer Strahlenkrone umgeben, die nur noch teilweise erhalten ist, und mit einem langen gebogenen Schnabel sowie einem ovalen Auge ausgestattet. Der Hals, nur leicht gebogen, ist mit kurzen Linien als gefiedert angegeben, ebenso die Oberseite des mit einer Querkerbe gezeigten linken Flügels. Vier parallele Linien bezeichnen die Schwanzfedern, der Beinansatz scheint glatt zu sein. Unter den nicht sichtbaren rechten Flügel ist ein Kerykeion geschoben. Der Vogel steht auf einer als Postament dienenden, rechteckig gerahmten Kartusche, darin Inschrift:
IAW
Im freien Feld rechts neben dem Vogel ein achtstrahliger Stern, links und rechts des Vogels verteilt →Charakteres und Buchstaben, vielleicht:
ΒECΑΖ
Iaô, Bes?
Das grotesk wirkende Mischwesen („Gryllos”) setzt sich aus aussagekräftigen Symbolen der römischen Kaiserzeit zusammen und kann, zum Grenzbereich der magischen Gemmen gehörend, allgemein als Fruchtbarkeitssymbol verstanden werden. Auf den folgenden Steinen ist das als Zepter oder Schwert des Orion geltende Kerykeion ein Element der Gryllos-Ikonographie, auch weisen Inschriften auf eine Identifikation mit diesem Sternengott hin (
348 /CBd-725/), der mit dem Beginn der Nilflut und somit wiederum Fruchtbarkeit und Regeneration in Zusammenhang gebracht wurde. In diesem Sinne ist auch das auf der Rs. gezeigte Regenerationssymbol Phönix mit Kerykeion schlüssig.
Der Gryllos folgt dem kaiserzeitlichen Schema und ist in der Ausführung anspruchsvollen Exemplaren entsprechend. Plastischer Muldenstil. Sauber geschnitten und qualitativ gut. Die Stilgleichheit mit der Rs. spricht dafür, daß das Stück von vornherein als magisches Amulett konzipiert war und nicht erst später in den magischen Bereich adaptiert wurde.
Publ.: KING, GNOSTICS (1864) 211f. Taf. 5, 2; KING, GNOSTICS 441 Taf. G. 5; BONNER, BRITMUS 323f. Taf. 96, 14.
Lit.: Zum Gryllos: A. FURTWÄNGLER, Die antiken Gemmen III (1900) 353, 363; A. ROES, New Light on the Grylli, JHS 1935, 232ff.; W. BINSFELD, Grylloi (1956); BONNER
319 zu
Νr. 387 /CBd-1082/; AGD KASSEL III 217f. zu Νr. 85 (Lit., Vgl.); J. BALTRUSAITIS, Das phantastische Mittelalter: antike und exotische Elemente der Kunst der Gotik (1985) 27ff.; T. Gesztelyi, Zur Deutung der sog. Grylloi, Acta Classica Universitatis Scientiarum Debreceniensis 28, 1993, 83ff. - Zum Phönix:
102 /CBd-502/(Lit.). - Zum Kerykeion: F. BOLL, Sphaera. Neue Texte und Untersuchungen zur Geschichte der Sternbilder (1903) 167f;
hier 52 /CBd-431/(Lit.).
Vgl.: Zum Motiv der Vs.: Karneol: AGD I, 3 MÜNCHEN 43 Taf. 210, 2354; Karneol und rote Jaspisse AGD III KASSEL 217f. Taf. 95f., 85-87; ΖAZOFF, HANDBUCH 337 Anm.246 (Beisp.); hier
348 /CBd-725/,
349 /CBd-726/. - Zum Motiv der Rs.:
57 /CBd-436/(Vgl.),
58 /CBd-437/(Vgl.).