The CBd
Michel, BM on CBd-504
S. Michel, Die Magischen Gemmen im Britischen Museum, 2001, 68, no. 104

Lapislazuli, matt. Hochoval, beiderseits flach, Rand nach hinten abgeschrägt, Kante abgerundet. Abspliß an der Kante rechts, in das Bildfeld der Vs. reichend. Ringstein.

1,3 x 1,0 x 0,25
2. Jh. n. Chr.
Geschenkt von Reν. G.J. Chester (1866). Gekauft in Alexandria.
Brit. Mus. Inv. G 209, EA 56209.

Vs.: Harpokrates im Profil nach links auf dem Lotuskelch sitzend. Der Lotus ist auf eine kurze Grundlinie gesetzt, links und rechts des großen Blütenkelches je eine Knospe, die Blüte selbst mit einigen Kerben senkrecht gestrichelt und mit einem breiten Rand abschließend, der durch eine Querkerbe hervorgehoben ist. Von der auf dem Kelch sitzenden, wohl unbekleideten Figur ist das link, eng angezogene Bein sichtbar, das Knie angewinkelt, der halb in Vorderansicht gezeigte Oberkörper nicht im Detail ausgearbeitet. Der rechte Arm ist vor dem Körper angewinkelt, die Hand zum Mund geführt, der linke, eng am Körper angewinkelte, hält ein Füllhorn. Auf dem Kopf - durch drei Kerben angedeutet - wohl die Hem-Hem-Krone sowie ein Kopftuch oder eine ägyptische Perücke, das Profil im einzelnen nicht mehr erkennbar.

Rs.: Ιnschrift in zwei Reihen:
ΚΡAΤ
ΟΥAΘ
->Kratouath

Das Motiv des auf dem Lotus sitzenden Kindes ist eine Umschreibung für die Morgensonne: der Sonnengott sitzt in Gestalt des kindlichen Horus (Harpokrates, von äg. Hr-ρ3-hrd, „Horus das Kind”) auf einem Lotus, der nach ägyptischer Vorstellung aus dem Urwasser (Nun), das das Land einst überflutete, emporgestiegen war. Aus ihm wurde die Sonne geboren und wie der Lotus taucht sie abends ins Wasser und steigt morgens wieder daraus empor. Auch weist das Motiv auf die jährliche Nilüberschwemmung hin, da Horus nach ägyptischer Vorstellung an dem Tag geboren ist, mit dem man das Einsetzen der jährlichen Nilflut verband, - laut ägyptischem Kalender der Neujahrstag 1. Thoth. Die Haltung des kindlichen Sonnengottes - mit eng angezogenen Beinen - entspricht ägyptischen Ηierοglyphen für „Gott” oder „König”, das Sitzen mit herabhängenden Beinen auf Vergleichsstücken dagegen der Hieroglyphe für „Kind”. Ebenso gehört zur letzteren der zum Mund gefürte Zeigefinger - ursprünglich Geste des „lutschenden Kindes” -, die von griechischen und lateinischen Schriftstellern als die die Schweigepflicht des Mysten versinnbildlichende Geste des Schweigens uminterpretiert wurde. Die motivische Anordnung der großen Lotusblüte auf einer hügelartigen Grundlinie mit je einer Knospe links und rechts erinnert an die Papyrusland-Ηieroglyphe - mit dem kleinen Hügel, auf dem die Pflanze wächst, ist inhaltlich auf die Vorstellung vom Urhügel angespielt, der am Anfang der Zeiten „zum erstenmal” aus dem Urwasser Nun hervorgetreten war. Auch die beiden Lotusknospen sind, wie die Blüte selbst, Symbolträger des Kreislaufes von Werden und Vergehen: laut Papyrus Beatty beraubte Seth Horus seiner Augen, um damit die Erde zu erleuchten; er verscharrte sie auf dem Berge und aus den beiden Augäpfeln wurden zwei Lotusknospen und -bluten. In den Ζauberpapyri heißt es daher: „Ich bin Chrates (das Kind), geboren aus dem heiligen Sonnenauge” (PREISENDANZ, PGM ΧΙΙ 230). So wird mit dem Bild des Harpokrates auf dem Lotus einerseits der Sonnenaufgang umschrieben, andererseits auch an die Urschöpfung sowie deren tägliche und jährliche Erneuerung erinnert, die Amulette beziehen sich also auf den Regenerationsgedanken. Die zu Anfang der 21. Dynastie (ca. 1000 v.Chr.) beginnende Harpokratesverehrung fand im 2. Jh.n.Chr. ihren Höhepunkt. Wenngleich der Schnitt detailarm und silhouettenhaft ist, erscheint die Darstellung nicht grob. Sie wird von der Ausgewogenheit der Proportionen sowie der günstigen Raumnutzung bestimmt, so daß der Gesamtausdruck durchaus überzeugt. Material und Ausstattung des Bildes lassen eine relativ frühe Datierung annehmen.

Publ.: BONΝER 198 Anm.65 (erw.).

Lit.: Zu Motiv und Thema: K. SETHE, Die altägyptischen Pyramidentexte. Text und Kommentar (1908ff.) 663c; S. MΟRENZ - J. SCHUΒERT, Der Gott auf der Blume, eine ägyptische Kosmogonie und ihre Bildwirkung (1954); WORTMANN, NILFLUT 69; BONNER 140ff.; DELATTE-DERCHAIN 106ff.; TEPOSU-DAVID (1964) 257ff.; A.M. ΕL ΚHACHAB, Some Gem Amulets Depicting Harpokrates Seated an a Lotus Flower, JΕA 57, 1971, 132-145; H. SCHLÖGL, Der Sonnengott auf der Blüte. Eine ägyptische Kosmogonie des Neuen Reiches, Ägyptiaca Helvetica 5 (1977); A. FORGEAU, Le parrainage d'Harpocrate, GöttMisz 60, 1982, 131ff.; M.-Ο. JENTEL, in: LIMC V 1 (1990) 538ff. s.v. Horos; M. MALAISE, Ηarpocrate au pot, in: Religion und Philosophie im Alten Ägypten, Festschrift Ph. Derchain, ΟLA 39 (Hrsg. U. Verhoeven - Ε. Graefe 1991) 217ff.; Ε. DOETSCH-AMBERGER, Βes auf der Blüte, ebenda 123-127; W. ΒRASΗΕAR, in: RAC XVI (1994) 574ff. s.v. Horos. - Zur Hand am Mund: PREISENDANZ, PGΜ IV 557; ΒETΖ 49 Anm.83; G. MΕNSCHING, Das heilige Schweigen. Εine religionsgeschichtliche Untersuchung (1926) passim; WORTMANN, ΝILFLUT 68f. Anm.22.23.32. - Zu den Hieroglyphen: GARDINER Sign-list A 17.18.40-46 (Haltung, Finger am Mund), M 16 (Papyrusland). - Zum Thema Horusauge und Konflikt zwischen Horus und Seth: H. ΒONΝER, RÄRG 314f. s.v. Horusauge; G. RUDNITΖKΥ, Die Aussage über „das Auge des Horus”. Eine altägyptische Art geistiger Äußerung nach dem Zeugnis des Alten Reiches, Analecta Aegyptiaca V, 1956; J.G. GRIFFITHS, Remarks an the Mythology of the Εyes of Horus, ChronΕg 33, Νr. 66, 1958, 182ff.; DERS., The Conflict of Horus and Seth (1960); WORTMANN, NILFLUT 73 Anm.61.62; MERKELBACH, ABRASAX 161, 229.

Vgl.: Zu Harpokrates auf dem Lotus im Profil nach links: Heliotrop AGHAGUE 355f. Taf. 172, 1120; Heliotrop GETTY Museum Inv. 83.AΝ.437.49 /CBd-2345/ (unpubl.); Heliotrop AGWIEN III 160 Taf. 94, 2197 /CBd-2440/; Grünes Jaspis-Frgt. HAMBURGER, CAESAREA 33 Taf. 6, 117; Grüner Jaspis TEPOSU-DAVID (1964) 259 Abb. 1, 1; Grüner Jaspis mit rotem Fleck METROPOLITAN Museum Inv. 81.6.293 /CBd-1120/; Grüner Jaspis HENIG, CAMBRIDGE 223f. Νr. 495 /CBd-95/; Grüner Jaspis RIDDER , DE CLERCQ COLL. 766. Taf. 28, 3445; Schwarzer Jaspis, grüner Jaspis, Hämatit und grün-gelber Jaspis DELATTE-DERCHAIN 111ff. Νr. 136.137.140.141bis; Grüner Jaspis AGD I, 3 MÜNCHEN 134 Taf. 294, 2992; Hämatit und grün-brauner Jaspis PΗΙLIPP, BERLIN 75 Taf. 22, 94 /CBd-2086/.96 /CBd-2070/; Magnetit und gelblich-brauner Jaspis, unrein BONNER 265f. Taf. 4, 75 /CBd-1321/ und 285 Taf. 9, 191 /CBd-1101/; Schiefer A.M. ΕL ΚHACHΑΒ, Some Gem Amulets Depicting Harpokrates Seated an a Lotus Flower, JΕA 57, 1971, 144 Taf. 36, 1; Aventurin STERNBERG, AUKTION 21, 1988, 107 Taf. 38, 754; Abdruck MANDEL-ΕLΖINGA (1985) 284. Abb. 11, 60; hier 105 /CBd-505/, 108 /CBd-508/110 /CBd-510/, 113 /CBd-513/, 116 /CBd-516/, 118 /CBd-518/, ferner 277 /CBd-663/, 278 /CBd-664/. - Zu Motiv und Inschrift: 108 /CBd-508/. - Zu Motiv und Material: hier 105 /CBd-505/; Lapislazuli FOSSING, KOPENHAGEN 250 Taf. 21, 1869; - Zur Haltung mit angezogenen Beinen: 104 /CBd-504/, 105 /CBd-505/, 108 /CBd-508/, 118 /CBd-518/, 567 /CBd-926/. - Zum Füllhorn als Attribut: gelblicher Jaspis, unrein und gesprenkelt GETTY Museum Inv. 85.AΝ.370.35 (unpubl.); Karneol AGHAGUE 356 Taf. 173, 1123; Schwarzer Jaspis DELATTE-DERCHAIN 110 Νr. 134; hier 107 /CBd-507/, 109 /CBd-509/, 115 /CBd-515/, 221 /CBd-619/223 /CBd-621/(Rs.), 590 /CBd-949/. - Zum Motiv auf Münzen: SCHWARTZ (1979) 170 Taf. 36, Ε (Macrinus, Alexandrinische Drachme).
Last modified: 2015-08-28 11:54:46
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