S. Michel, Die Magischen Gemmen im Britischen Museum, 2001, 169-170, no. 275
Grüner Jaspis, poliert. Hochoval, beiderseits flach, Rand nach hinten abgeschrägt, Kante abgerundet. Kleine Absplisse am Rand links und rechts. Ringstein.
1,8 x 1,3 x 0,28
3. Jh.n.Chr.
Von G. Eastwood, Esq. (1864), ehemals Sammlung Ρraun und Mertens.
Brit. Mus. Inv. G 127, ΕA 56127.
Vs.: Auf einer kurzen Grundlinie frontal stehender Leontokephalos, Kopf und Beine im Profil nach links. Die Figur ist nur mit einem kurzen Schurz bekleidet, die Beine und der Oberkörper sind nackt, Muskulatur nicht angegeben. Der rechte, sehr langgezogene Arm ist in der solaren Geste grüßend erhoben, der linke - angewinkelt an der Seite gehalten - trägt ein langes Zepter. Der Löwenkopf ist groß und wuchtig gearbeitet und ist von sieben Strahlen umgeben. Mähne und Mähnenbart rahmen das Gesicht, das ein weit geöffnetes Maul mit kugeligem Oberkiefer und kleinerem rundlich flachem Unterkiefer zeigt, ein Auge ist nicht angegeben, wohl aber ein dicker Brauenwulst.
Rs.: Inschrift in sechs Reihen:
ΚΕ
ΝΤΑΥ
ΕΕΟΥ
ΕΚΑΤΟ
ΝΤΟΜ
ΑΧΕ
Lesung nach Southesk: ΚΕΝTΑΥΡ ΕΘΥ ΕΚΑΥΟΝ ΤΟΜΑΧΕ, „Cut the Centaur (nightmare) into a hundred pieces“.
Die viel diskutierte Inschrift bleibt rätselhaft. Nach Lesung Southesks wäre ein Wunsch auf Zerstückelung in hundert Stücke geäußert: ΚΕΝTΑΥ(ΡΟC) für Kentaur, ΕΚΑΥΟΝ für die Zahl 100 sowie ΤΟΜΑ, abgeleitet von τέμνω oder τομάω, „schneiden, schlachten”. Ein ΕΚΑΤΟΝTΑΜΑΧΟC sollte nach Bonnei auch als Name bei Josephus vorkommen und M. Smith sieht sich in ΚΕΝTΑΥ eher an ΚΑΝTΕΥ, einen der Geheimnamen der Planeten erinnert.
Die erhobene Hand ist eine typisch solare Geste (vgl. Heliosdarstellungen) und auch die Strahlen am Löwenkopf legen nahe, daß es sich um den Sonnengott handelt. Der Stab erinnert an eine Stelle der magischen Papyri, wo ein Leontokephalos mit Gürtel und Stab in der Rechten auf eine Eselshaut gemalt werden soll. Allerdings fordert der Text, daß sich eine Schlange um den Stab und eine weitere um die andere Hand der Figur winden solle sowie, daß Feuer aus dem Löwenmaul schlagen solle (BΕΤΖ/PREISΕΝDΑΝZ, ΡGM IV 2112f.). Diese Beschreibung, die teilweise mit Gemmenbildern korrespondiert, wollte man in der Forschung stets mit dem Mithraischen Leontokephalos assoziieren, dessen Reliefs und Statuen tatsächlich so konstruiert waren, daß er „Feuer speien” konnte. „Dens aeternus” oder „Chronos-Aion” genannt, war dieser Gott ein typisch späthellenistisches Agglomerat von verschiedenen Göttern und vereinigte orphische, mithraische und möglicherweise sogar zervanistische Züge in sich. Auch Gemmenbeispiele belegen den löwenköpfigen Gott, jedoch - abweichend vom vorliegenden Gemmenbild - eher pantheistisch „konstruiert”. Schließlich wäre an einen Mysten mit Löwenmaske zu denken, wie sie Reliefs zufolge in Verbindung mit dem vierten Grad der Mithrasmysterien bei bestimmten Zeremonien getragen wurden.
Die Beine und Arme wie „Strichmännchenextremitäten” nur als dünne, überlängte Linien wiedergegeben, die Hüfte stark eingezogen, der Oberkörper dreieckig, der Löwenkopf zu groß und wuchtig. Ein sauberer und dennoch flüchtiger und flächenhafter Stil.
Publ.: KING, GNOSTICS (1864) 202 Taf. l, 11; KING, GNOSTICS 444 Taf. L, 2; SOUTHESK COLL. 173f. zu Ν 52 (erw.); BONNER 152 Αnm.27, 169 Anm.14.
Lit.: Zu Löwe/Sonne bzw. Sonnengott/Leontokephalos: 253 /CBd-651/(Lit.), 265 /CBd-159/(Lit). - Zum Leontokephalos im Mithraskult: DE LA PAZ (1959) 32ff. zu Abb. 1; L.A. CAMPBELL, Mithraic Iconography and Ideology, EPRO 11 (1968) 353; R. MERKELΒΑCΗ, Mithras (1984) 101, 225f., 381 Αbb. 148; JACKSON, LION 110f; H.M. JACKSON, The Meaning and Function of the Leontocephaline in Roman Mithraism, Numen 32, 1985, 17-45; WΜ. BRΑSΗΕΑR, A Mithraic Catechism from Εgypt, Tyche Suppl. 1 (1992) 64f. Αnm.145 (Lit.); ΒRASΗΕΑR, MAGICAL PAPYRI 3523. - Zu den Planetennamen: 40 /CBd-419/.
Vgl.: Zu Leontokephalos mit Zepter: Schwarzer Jaspis DELATTE-DERCHAIN 224 Nr. 305; Roter Jaspis FORBES, PRINCETON 159f. Taf. 35, 146; Grün-roter Jaspis und rot-schwarzer Jaspis BONNER 284 Taf. 9, 188 /CBd-1384/, 300 Taf. 13, 283 /CBd-1463/; ferner Hämatit DELATTE-DERCHAIN 225 Νr. 307. - Zur solaren Geste der erhobenen Hand: 243 /CBd-641/(Vgl.), 267 /CBd-155/. - Zum mithraischen Löwen auf Gemmen: Schwarzer Jaspis AGWIEΝ IΙΙ 164 Taf. 99, 22I5 /CBd-2460/. - Statuen/Reliefs des „mithraischen” Leontokephalos: CAMPBELL Α.Ο. 348 Taf. 7, 103, Taf 12, 326, Taf. 16, 665; MERKELBACH Α.Ο. 315 Abb. 65, 305 Α. 51, 296 Αbb. 40, 280 Α. 20. - Zum Leontokephalos: 265 /CBd-159/(Vgl.),268 /CBd-165/(Vgl.)–274 /CBd-137/, 276 /CBd-149/.