S. Michel, Die Magischen Gemmen im Britischen Museum, 2001, 175, no. 280.
Unreiner gelber Jaspis, poliert. Queroval, Vs. leicht konvex, Rs. flach, Rand nach hinten abgeschrägt, Kante nach vorn. Gut erhalten. Ringstein.
1,3 x 1,65 x 0,4
3. Jh.n.Chr.
Aus der Sammlung von Sir William Temple (1856).
Βrit. Mus. Inv. G 236, ΕA 56236.
Vs.: Ein Löwe schreitet im Profil nach links über eine am Boden liegende Figur hinweg, die unbekleidet und mit gestreckten Beinen sowie seitlich am Körper anliegenden Armen in Aufsicht gezeigt ist. Geschlechtsteile und Muskulatur sind ebenso wenig angegeben wie Profil, um den Kopf scheint ein Band zu laufen. Auf der Figur der Löwe mit verdickten Pranken, die vordere rechte auf das Gesicht des am Boden Liegenden gesetzt. Entlang der Bauchlinie ist Fell angedeutet, der Schwanz schwingt - am Εnde verdickt - s-förmig nach oben. Mit groben und wild gesetzten Kerben sind die Mähne und der Mähnenbart bezeichnet. Das Löwengesicht ist mit Brauenwulst, verdickt endender Nase, kugeligem Ober- und kleinem flachen Unterkiefer sowie leicht geöffnetem Maul gearbeitet. Im freien Feld über dem Rücken des Löwen:
AI
vor dem Tier:
W
Retrospektiv →Iaô
Rs.: Hochoval. Auf einer Grundlinie stehend, eine weibliche Figur im Profil nach rechts. Die Frau ist mit einem knöchellangen Gewand bekleidet, unter dem Saum sind die Füße als längliche Kerben erkennbar, Linien geben Faltenwurf und Gürtung oder Κolpos an. Die Rechte ist leicht angewinkelt an der Seite gehalten, der linke Arm angewinkelt erhoben, die Hand mit angedeuteten Fingern zum Mund geführt (Sigé). Das Profil ist mit kleinem Κinn, Lippen und dreieckig abstehender Nase gekennzeichnet, Haar scheint angedeutet und im Nacken geknotet, um den Kopf ein Band. Im freien Feld links neben der Figur senkrecht von unten nach oben:
CIAP
rechts der Figur senkrecht von oben nach unten:
AΥ
Name Pausia?
Das Führen der Hand zum Mund wird als „Schweigegestus” gedeutet. Generell war und ist zum Schutz der Κultvorgänge vor Profanisierung allen MysterienkuIten das Schweigegebot gemeinsam, so daß man die weibliche Figur als Personifikation des „heiligen Schweigens” für schlüssig hielt, als Sigé spielte dies insbesondere in gnostischen Lehren eine große Rolle. Auch wurde in der Forschung darauf hingewiesen, daß an einen Gestus zur Begrüßung oder Εhrfurchterbietung zu denken wäre, ähnlich etwa der im Mithraskult geläufigen Κußhand. In einer Textpassage der magischen Papyri wird das Schweigen, - verbunden mit der Geste des rechten Ζeigefingers auf dem Mund - mehrmals im Ζusammenhang mit einer Seelenreise erwähnt: einerseits wird das Schweigen als Schutzmittel eingesetzt, andererseits mit dem Ruf „Schweigen, Schweigen” freie Bahn erreicht bzw. Tore geöffnet und so ein Blick auf die Welt der Götter ermöglicht („Mithrasliturgie”, BEΤΖ/PREISEΝDΑΝΖ, PGM IV 556ff.). Mit der weiblichen Figur, die die Hand zum Mund führt, könnte somit die Seele personifiziert sein, die gemäß der diversen Εrlösungstheorien vor der (Wieder)geburt die verschiedenen Planeten durchwandert. Inhaltlich stünde dies in Εinklang mit dem Motiv der Vs.
Wenngleich nicht mit Binnenzeichnung versehen, sind die Flächen durchgearbeitet und lassen die Figuren plastisch erscheinen (Körper des Löwen, Körper der unterliegenden Figur). Die Konturen wirken etwas zerfurcht, doch bleibt der Schnitt insgesamt klar.
Publ.: GOODENOUGH II 259 Anm.369. III 1120.
Lit.: Zum Motiv der Vs.:
279 /CBd-665/(Lit.), ferner
264 /CBd-662/(Lit.). - Zum Motiv der Rs.: O. CASEL, De philosophorum Graecorum silentio mystico, RGVV 16, 2, 1919, 109f.; G. MENSCHING, Das heilige Schweigen. Eine religionsgeschichtliche Untersuchung (1926); BETΖ/PREISEΝDANZ, PGM III 198ff.264ff., IV 557ff.; H. CHADWICK, The Silence of Bishops in Ignatius. HThR 43, 1950, 171; J. DORESSE, JA, 1966, 317ff. (Sigé im Gnostizismus); R. MERKΕLBACH, Mithras (1984) 106 und Abb. 68. - Zur „Mithrasliturgie”: BRΑSHΕAR , MAGICΑL PAPYRI 3423f.(Lit.).
Vgl.: Zu den Motiven:
264 /CBd-662/,
279 /CBd-665/(Vgl.),
281 /CBd-667/, ferner
282 /CBd-668/(Vgl.)
–286 /CBd-672/,
289 /CBd-675/,
297 /CBd-683/(Vgl.). - Zur Figur mit Hand am Mund ferner
565 /CBd-924/,
638 /CBd-997/,
639 /CBd-998/.